Im Ring mit Herz und Hoffnung
Boxenthusiast Sergey Baklan hinterlässt Spuren als Trainer, Funktionär und in der Ukrainehilfe
Kiel. Paff! Paff! Paff! Immer wieder knallt der Cross der rechten Schlaghand in Sergey Baklans Pratzen. Paff! Paff! Paff! Der 43-Jährige stemmt sich im Ring mit seinem Gewicht in die Schläge seiner 17-jährigen Box-Schülerin. Der Ukrainer ist Trainer bei der TuS Gaarden, ist Vorsitzender der Schleswig-Holsteinischen Amateur-Boxjugend (SHABJ). Seine Geschichte ist eine von Kraft und Beharrlichkeit, eine von Integration und Kultur. Eine von Wucht, die in den frohen Augen des Familienvaters bricht. Weil Heimat hier und da ist und der Krieg in der Ukraine so sehr wehtut in Herz und Seele.
Auf den Stufen, die in der Kieler Stadtrade in einem alten Industriewürfel in den Keller führen, riecht es so, wie es in Mighty Mick’s Gym in Philadelphia wohl riechen würde, wäre Rocky Balboa nicht bloß der auf Zelluloid gebannte Traum von einer besseren Welt. Es riecht nach Schweiß und Hoffnung. Und für Rocky geht der Traum mit der Hilfe seines Trainers Mickey in Erfüllung. Der Kieler Mickey heißt Sergey. Die Jugendlichen liegen ihm am Herzen. Er korrigiert, dirigiert. Auf Deutsch. Auf Ukrainisch. Paff! Paff! Paff! Wieder schlägt der Cross der 17-jährigen Humboldtschülerin Zara Bagci in den Pratzen ein. Bagci, das Fliegengewicht. „Würde mich nicht wundern, wenn wir sie mal bei Olympischen Spielen sehen“, sagt Baklan und lacht.
Gerade erst wurde der Vater von drei Kindern – Alexandra (21), Marcel (20) und Rafael (8) – von Ministerpräsident Daniel Günther mit der Sportplakette des Landes ausgezeichnet. Für sein Engagement als Trainer, als Funktionär. Für den Kampf seines Lebens. Seit 15 Jahren ist Baklan im Projekt „Integration durch Sport“ des Landessportverbands aktiv, ist seit Beginn des Jahres Integrationslotse, ist Organisator des Boxturniers beim „Tag des Sports“.
Er, der seit 1999 in Kiel lebt, heute mit seiner Familie im Rücken des Kieler Eichhofs, im Schatten des Polizei-Bezirksreviers, wollte einst in der Ukraine für Recht und Ordnung sorgen, wollte die Offizierslaufbahn einschlagen nach einem Abitur mit Auszeichnung in der ostukrainischen Millionenstadt Charkiw. Es kam anders. „Meine Eltern waren nur Fabrikarbeiter, darum wurde ich nicht zugelassen für das Studium. Also begann ich, Pädagogik zu studieren“, erzählt Baklan heute. Er schwor sich: „Ich werde niemals eine Waffe tragen.“
Und sorgt nun doch für Recht und Ordnung auf den Straßen der Landeshauptstadt – seit 2018 arbeitet Baklan für den Ordnungsdienst der Stadt Kiel. Ohne Waffe. Sein Abitur wurde in Deutschland nicht anerkannt. Nach der Fachhochschulreife arbeitete er als Erzieher für die Kirche im Mettenhofer Jugendtreff „Kiste“. Nach zwei Semestern an der Fernuni in Hagen endete auch das Studium der Sozialwissenschaften. „Das klappte nicht, ich hatte ja schon zwei Kinder“, erinnert sich Baklan an die Zeit, als seine Ehefrau Karina und er junge Eltern waren.
Baklan, der Vater. Baklan, der Ukainer. Baklan, der Boxer. Direkt nach einer Unterrichtsstunde im Sprachkurs am Alten Markt wurde der junge Sergey damals vom mittlerweile verstorbenen Box-Tausendsassa und ehemaligen Mitarbeiter dieser Redaktion, Hans Korth, abgefangen. Korth wusste, wo die guten Boxer waren, und Baklan landete beim TSV Plön, dann bei der TuS Gaarden. „Hans war mein Mentor, mein Ziehvater.“ Von Korth übernahm Baklan die Funktion als Erster SHABJ-Vorsitzender, organisiert heute für den Nachwuchs alles, was mit Landes-, norddeutschen und deutschen Meisterschaften zusammenhängt. Meldungen, Reisen, Trainingslager, Baklan ist da für seine Schützlinge.
Baklan hinterlässt Spuren im Ring. Da, wo seine Boxerinnen und Boxer hinschlagen, wächst kein Gras mehr. Der deutsche U 17-Meistertitel von Benjamin Kotza (TuS Gaarden) war der erste seit mehr als 30 Jahren, der an die Förde ging. Tarik Yorulmaz (BSC Kiel) und Zara Bagci (TuS Gaarden) holten im November U 18-DM-Bronze. Die grünen Augen strahlen, wenn Baklan erzählt, der auch Teil des Sportausschusses ist, der die Nominierungen für Wettkämpfe vornimmt. „Kinder und Jugendliche sind wie Knetmasse. Man kann sie formen, sieht die Entwicklung vom Anfänger bis zum deutschen Meister. Darum war Pädagogik immer mein Traum, sie ist aber in der Ukraine nicht so sehr anerkannt wie in Deutschland.“ Baklan erlaubt es sich, zu träumen: „Seit 2000 in Sydney ist es keinem Schleswig-Holsteiner mehr gelungen, sich im Boxen für Olympia zu qualifizieren.“
Baklan erzählt, gibt den Boxern zwischendurch Anweisungen. Es klatscht und knallt in diesem Boxkeller, in dem Punchingbälle, Seile, Metallspinde an Mighty Mick’s Gym erinnern und sich alles gut anfühlt, in Bewegung ist. Immer wieder fährt sich der gebürtige Ukrainer durch den respektablen Bart. Der wächst seit dem 24. Februar, als der Krieg in der Ukraine mit der Invasion Russlands begann. „Und er wächst, bis der Krieg beendet ist“, sagt Baklan. Ein Krieg, der die Geschichte umschreibt und der Baklan vor Sorge fast zerspringen ließ. Sorge um Verwandte, um seine Mutter Tatjana, die zunächst nicht ausreisen durfte, weil sie in Charkiw in einer Panzerfabrik arbeitete. Die es bei minus 15 Grad im Luftschutzkeller aushalten musste. „Wir haben uns sehr große Sorgen gemacht“, erinnert sich Baklan. Im August durfte die 65-Jährige endlich ausreisen, ist seither in Kiel. Ein Wiedersehen nach acht Jahren.
Wut, Traurigkeit, Entschlossenheit mischen sich in Baklans Blick. „Wir wollen helfen, wo wir helfen können.“ Baklan organisierte in diesem Jahr Hilfstransporte, half, Busse und Lkw mit Essen, Windeln, Babygläschen und anderen Hilfsgütern zu bestücken und zum polnisch-ukrainischen Grenzübergang Medyka zu bringen. Die Familie nahm die 18-jährige Nastja, Tochter einer engen Freundin, auf, die in Kiel ihr Medizinstudium fortsetzt. „Jeder Krieg ist ein Krieg zu viel“, sagt Baklan. Zehn Kinder und Jugendliche wurden seit Kriegsbeginn im Boxtraining der TuS Gaarden aufgenommen.
Aufgenommen in diesem Keller, in dem es so riecht, wie es wohl in Mighty Mick’s Gym in Philadelphia riechen würde. Hier, wo auch der Boxenthusiast Sergey Baklan, 43-jähriger Ukrainer mit jüdischen Wurzeln, gelandet ist. Der sich mit ganzem Gewicht stemmt gegen Zara Bagcis Cross. Gegen die Dunkelheit des Lebens. Paff! Paff! Paff!
Der junge Sergey wurde nach einer Stunde im Sprachkurs von Box-Tausendsassa Hans Korth abgefangen.
Quellenangabe: Kieler Nachrichten vom 30.12.2022, Seite 15
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